Zwischen Hölle und Himmel – Eine Kursfahrt nach Polen

Ende August 2020 passierte etwas für dieses Jahr sehr Ungewöhnliches. Plötzlich öffnete sich ein kleines Fenster. Eine erhoffte, aber kaum noch für möglich gehaltene Reise durfte stattfinden. Die schon im Schubfach verschwundenen Planungen wurden eilig reaktiviert und innerhalb von wenigen Tagen hatten wir alles beisammen. Zwölf Schülerinnen und acht Schüler aus verschiedenen Geschichtskursen des dritten Semesters, zwei Lehrkräfte, Bustickets, Unterkünfte und Programmplanung. Die Möglichkeiten zu inhaltlicher Vorbereitung waren pandemiebedingt viel zu klein. Dennoch dämpfte die obligatorische Maske am Samstagmorgen im Flixbus nur den Atem aber kaum die Vorfreude!

Geschichtsfahrt des dritten Semesters - Q3
Geschichtsfahrt des dritten Semesters – Q3

In Krakau erwartete uns außer einem schicken Hostel eine tolle Altstadt, die – zumindest was die Gebäude angeht – von den Schrecken des Krieges verschont blieb. Eine hervorragende Stadtführung brachte uns die wechselhafte Geschichte der „heimlichen Hauptstadt Polens“ näher und die Besuche der „Alten Synagoge“ und des „Museums der Juden Galiziens“ gaben uns einen tiefen Einblick in die jahrhundertealte jüdische Kultur dieser Region. Die Erklärung einiger Riten und Bräuche offenbarte die Nähe zu Christentum und Islam, die Namen und Begriffe die alte Verwandtschaft des Jiddischen zum Deutschen. Am Abend sahen wir ergänzend noch „Schindler Liste“ und diese ersten Einblicke in das Schicksal der polnischen Juden hinterließ bei allen ein beklemmendes Gefühl, wussten wir doch, dass der nächste Tag uns zum Hauptziel der Reise bringen sollte.

Das alte Tuchhaus auf dem Krakauer Markt
Das alte Tuchhaus auf dem Krakauer Markt

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“

Theodor W. Adorno
Mit Steinen markieren Juden ihre Gräber …und Wanderer die Wege.
Mit Steinen markieren Juden ihre Gräber … und Wanderer die Wege

Der Besuch des Stammlagers in Auschwitz und des KZs Birkenau lässt einen erahnen, was die hier eingesperrten und ermordeten Menschen erleben mussten. Auch wenn die Hygienemaßnahmen nur ein schnelles Durchschleusen durch die Gebäude und Räume zuließen und die Erläuterungen technik- und wetterbedingt teils schwer verständlich waren, so erschlägt einen doch die Größe der Anlagen und die Masse der Überbleibsel, vor allem aber die kurzen Einblicke in die Einzelschicksale. Anhand der Fotos und Kofferbeschriftungen werden aus den Zahlen Menschen. Der kalte und starke Wind, der durch Birkenau fegte, verstärkte das Gefühl für die eisige Härte und die Unbarmherzigkeit, die hier geherrscht hatten. Leider war es pandemiebedingt nicht möglich, mit einem der wenigen noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen. Dennoch war auf der Rückfahrt spürbar, dass diese Eindrücke dauerhaft sein würden und auch noch tiefer als zum Beispiel nach einem Besuch in Sachsenhausen.

In Vielfalt geeint, auf nach Zakapone

Nun begann der zweite Teil der Reise. In bewusster Abgrenzung zum mahnenden und die Toten ehrenden Charakter der ersten Tage sollte es hier darum gehen, das eigene Leben und

die Vorteile von Vielfalt und Zusammenhalt bewusster wahrzunehmen. In Zakopane am Fuße der Hohen Tatra begaben wir uns quasi in Gruppenquarantäne. Ein Haus für uns, Selbstverpflegung und die Berge vor der Tür ließen uns Raum und Zeit für gemeinsames Kochen (was als Wettkampf zwischen den Zimmern zu kulinarischen Höchstleistungen inspirierte), Gespräche in großen und kleinen Runden, Achtsamkeitsübungen im Garten vor dem Frühstück, vor allem aber für viel Bewegung in der Natur.

Die Wanderungen waren für viele herausfordernd, aber der Stolz auf die bewältigten Höhenmeter und die Anblicke von Wasserfällen und in Bergseen gespiegelten Gipfeln belohnte alle reichlich.

Die lange Nachtfahrt zurück sah eine eingeschworene Gruppe, die durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen war. Wir haben gesehen, wohin Nationalismus und Rassismus führen können, und haben erlebt, wie bereichernd und freudvoll die Vielfalt unserer Schule ist. Wir sind im Vorhof der Hölle erschaudert im Angesicht des unvorstellbar Bösen, dass Menschen geschaffen haben, und haben dagegen als bunter Haufen „dem Himmel ganz nah“ gemeinsam getanzt.

Blick von der Unterkunft in den Sonnenuntergang
Blick von der Unterkunft in den Sonnenuntergang

Der Weg zurück in den Schulalltag fiel uns allen schwer, aber die Erfahrungen bleiben und damit die Überzeugung, dass Fahrten wie diese durch keinen Unterricht der Welt zu ersetzen sind.

M. Maihorn

P.S: Ich danke allen Beteiligten für den tollen Umgang miteinander, die allgemeine Hilfsbereitschaft und vor allem dem Kollegen Schmidt für die großartige Unterstützung!


Celine Sahar-Fischer: Der Besuch in Auschwitz hat mich emotional sehr mitgenommen. Im Unterricht bekommt man viel darüber erzählt, wie die Menschen in diesen Lagern behandelt wurden und unter welchen Umständen sie sterben mussten. Aber erst, als wir in Auschwitz ankamen und ich mit eigenen Augen die Größe des Lagers und die Anzahl der vielen Opfer (durch die Bilder und die Berge von Schuhen) gesehen habe, wurde mir dies wirklich bewusst. Genau deswegen finde ich es sehr wichtig, dass jeder Schüler die Möglichkeit bekommt, diese Erfahrung zu sammeln.

Jasemin Kemik: Das Wissen, dass dort, wo ich in diesem Moment stand, einmal Tausende Menschen ihr Leben schuldlos verloren haben, ist zuerst schwer zu verarbeiten und zu verstehen. Dennoch denke ich, dass jeder einmal gesehen haben sollte, was wir gesehen haben.